Flora Montán

Flora Montán

Unter dem Namen „Flora Montán“ veröffentliche ich literarische Texte.
Mehr dazu erfahrt ihr unter:

 Flora Montán

Mein Roman "Denn dein ist die Liebe"

ist im Bremer Kellner Verlag erschienen.
Denn dein ist die Liebe
von Flora Montán
384 Seiten, Paperback
Kellner Verlag Bremen 2023
16,- Euro
ISBN 978-3-95651-386-2
Der Roman kann in jedem Buchladen bestellt werden
oder portofrei beim Verlag:
 
https://www.kellnerverlag.de/denn-dein-ist-die-liebe.html
 
Kostenfreie Rezensionsexemplare erhalten Sie beim Kelllner-Verlag unter
mail: info@kellnerverlag - Tel.: 0421 77866
                
                           Cover von "Denn dein ist die Liebe"

Bremer Buch Premiere

Erste Lesung mit "Denn dein ist die Liebe"

am Gründonnerstag, den 6. April 2023, um 20:00 Uhr

in der Zionsgemeinde in Bremen - Kornstraße 31, Neustadt
 
Veranstaltet vom Bremer Literaturkontor und der Stadatbibliothek Bremen, in Zusammenarbeit mit dem Bremer Kellner Verlag
 
 

 Kurzgeschichte "Adiós

Im November 2021 gewann ich mit meiner Kurzgeschichte „Adiós“ den zweiten Platz beim Bremer Literaturwettbewerb und las sie am 16.11.2021 im Rahmen der Preisverleihung in der Stadtbibliothek Bremen.

 

Die Geschichte ist hier zu lesen und wurde in dem Buch „Treffpunkt Bürgerpark“ im Kellner Verlag veröffentlicht.

„Treffpunkt Bürgerpark“. 2021. Kellner Verlag Bremen

128 Seiten – Taschenbuch – 10,00 €

ISBN 978-3-95651-321-3

                                     

 

 Adiós
von Flora Montán

Es war einer dieser Regentage in Bremen, an denen es sich eingeregnet hatte und man sich nicht vorstellen konnte, dass der Regen je wieder aufhören würde. Isabel rannte mit ihrem kurzen Kleid über die Parkallee und blieb kurz auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrspuren stehen. Die riesigen Brennnesseln reichten ihr bis zur Hüfte, aber hier an dieser Stelle hatten die Spaziergänger aus der Fitgerstraße alles Grüne plattgetreten. Sie rannte weiter über die Straße und hörte ein lautes Bremsenquietschen, um das sie sich nicht kümmerte. Schnell rannte sie weiter, in den Park hinein und weiter, Hauptsache weiter. Der Regen war ihr egal, denn ihr Gesicht war von ihren Tränen schon nass. Sie rannte auf dem befestigten Sandweg über eine Kreuzung und bog rechts ab. Dann blieb sie stehen und sah vor sich eine lange Parkbank mit einer hohen Lehne. Erschöpft ließ sie sich auf die nasse Bank sinken und spürte wie ihre Schenkel nass wurden. Sie riss sich ihr goldenes Handtäschchen von der Schulter und warf es hinter die Bank.
Plötzlich stand er da. Er war ein älterer Herr mit grauen Haaren, einem Vollbart und sanften Augen. Unter seinem schwarzen Anzug sah sie ein weißes glatt gebügeltes Hemd und überlegte sofort, ob auch er von einer Feier weggelaufen war. Erstaunt sah sie, dass sein Anzug trocken war und er sich auf die nasse Bank setzte. Wie konnte er sich nur auf eine nasse Bank setzen?
„Ist Ihnen auch alles egal?“
Er lächelte sie an. „Überhaupt nicht, meine Dame.“ Die Stimme von ihm klang angenehm und tief. „Genaugenommen ist mir gar nichts egal.“ Seine Augen blickten neugierig auf sie. Oh je, hoffentlich war dieser Opa nicht einer von denen, die darauf aus waren junge Frauen anzugrapschen. Sie richtete sich auf. Zum Glück saß sie auf der einen Seite der Bank und er auf der anderen.
„Was machen Sie hier?!“ Sie sah ihn möglichst unfreundlich an.
„Ich erfreue mich an der Natur. Riechen Sie auch diesen köstlichen Duft, wenn es regnet? Und sehen Sie auch das Glänzen der Blätter und Gräser, auf denen die Regentropfen verweilen?“ Sein verträumter Blick erinnerte sie an ihre Oma. Wahrscheinlich war er einfach nur ein alter Mann, der nichts Besseres zu tun hatte als im Regen herumzuirren.
„Erlauben Sie mir die Frage, was machen Sie hier auf dieser Bank?“ Er sah auf ihr rot leuchtendes Kleid aus leichtem Chiffonstoff, das nach der Meinung ihrer Mutter unten zu kurz und oben zu tief ausgeschnitten war.
Sie wischte sich mit der Hand ihre Tränen aus dem nassen Gesicht. „Ich bin weggelaufen.“
Der Mann nickte. „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Harry.“
„Ich bin Isabel.“ Sie sah auf die Steinplatten unter ihren Füßen.
„Hat jemand Sie beleidigt?“
„Nein, mich nicht, aber meine abuela, meine Oma und das lasse ich nicht zu!“
„Wie ehrenvoll, dass Sie eine Kränkung Ihrer Familie nicht dulden.“
„Die Schwester von Jonas, meinem Freund, hat gesagt, dass meine abuela doch alt war und es deswegen nicht so schlimm sei, dass sie gestorben ist.“
„Mein tiefstes Beileid zum Tod ihrer Großmutter.“ Harry senkte kurz den Kopf.
„Ich habe Jonas Schwester eine geklatscht und als Jonas das gesehen hat, meinte er zu mir, dass man in seiner Familie nicht so kommuniziert. Dann kam seine Mutter angerannt und hat herumgeheult, dass ich das schöne Tauf-Fest von ihrer Enkelin verderben würde. Jonas hat mich nur angesehen und dann bin ich abgehauen.“ Sie holte Luft. Warum erzählte sie das alles dem alten Mann?
„Was für eine herrliche Szene!“
„Ich wollte doch gar keine Szene machen, aber warum verteidigt er mich nicht vor seiner Schwester und seiner Mutter?“
„Ein richtiges Familiendrama sozusagen.“
„Ich bin keine Drama-Queen, egal wie viele Leute das behaupten!“
„Es gab eine Queen in Spanien mit Ihrem Namen, Isabella die Erste, die wirklich viele Dramen verursachte. Sind Sie Spanierin?“
Sie sah seine Augen glänzen und nickte.
„Das habe ich mir doch gleich gedacht!“
Harry schien sich zu freuen. Nein, nicht das schon wieder. Wahrscheinlich würde er sie gleich fragen, ob sie ihm Flamenco vortanzte.
„Sie sehen wirklich bezaubernd aus mit ihren dunklen Augen und langen schwarzen Haaren. Und ihre arabische Nase ist entzückend. Darf ich fragen, ob Sie aus Andalusien stammen?“
Sie sah ihn wütend an und zog eine Schnute.
„Wissen Sie, ich bin ein Verehrer der Zeit, in der Muslime und Juden und Christen in Südspanien friedlich zusammenlebten.“ Harry sah sie verzückt an.
„Hör auf!“ Sie hielt sich mit ihren Händen die Ohren zu. „Immer haben mich alle wegen meiner langen Nase geärgert.“
„Ihre Nase ist doch wunderschön!“, ereiferte sich Harry.
„Das sagt mein Vater auch. Er meint, ich solle stolz auf meine gitano-Vorfahren sein und ständig singt er dieses jammernde Flamenco-Zeug, wenn ich meinen Hip Hop hören möchte. Es ist grauenhaft zuhause.“
„Sie sind also eine Zigeunerin?“ Harry schien keine Vorbehalte zu haben.
„In der achten Klasse bin ich mal nachhause gerannt und habe meinen Eltern gesagt, dass meine Lehrerin meinte, dass man Zigeuner und gitanos nicht mehr sagen darf. Meine Eltern haben sich schlappgelacht und meine abuela hat gesagt, dass ich immer eine gitana bleiben werde. Und meine deutsche Freundin Lisa hat behauptet, dass ich gar keine gitana sei.“
„Sie sollten Ihren Eltern Glauben schenken“, sagte Harry in ernstem Ton.
„Na ja, wenn wir in Spanien sind dann schimpfen sie über die gitanos, aber wenn wir in Bremen sind, dann wollen sie wieder welche sein. Was soll ich denn dann glauben?“
„Ja, Mademoiselle, im Ausland fühlt man sich seinen Wurzeln oft näher, als wenn man dort ist. So erging es mir auch, als ich in Frankreich lebte.“
„Ich bin aber nicht so wie meine Eltern.“
„Letzten Endes können Sie es nur selbst wissen und vor allem fühlen, was Sie sein möchten. Das gab es schon früher, dass Intellektuelle anderen vorschreiben wollten, wie sie sich zu fühlen und zu benennen haben. Kümmern Sie sich nicht darum.“
„Du redest wie meine abuela. Sie hat mir immer zugehört und dann gesagt: ‚Kind, höre auf dein Gefühl.‘ Und jetzt ist sie einfach nicht mehr da.“ Isabels Brust schmerzte und Harry sagte: „Oh, das schmerzt Sie gewiss sehr.“ Er sah sie mit den Augen von abuela an.
„Gestatten Sie mir die Frage wie Ihre Großmutter gestorben ist?"
Merkwürdigerweise störte seine Neugierde sie nicht. Schließlich hatte sie niemanden mehr, dem sie von ihrem Kummer erzählen konnte.
„Abuela musste ganz alleine im Krankenhaus sterben, weil wir sie nicht besuchen durften. Wir konnten uns nicht ‚Adiós‘ sagen.“
Harry seufzte. „Ach!“
Isabel kniff kurz den Mund zusammen. „Sie hatte Krebs an der Bauchspeicheldrüse. Ihr Körper soll schon voll mit Krebs gewesen sein und sie kam nicht mehr nachhause. Wie konnte sie denn einfach so sterben?“
„Krankheiten sind leider häufig ein trauriges Schicksal. Warum durften Sie Ihre Großmutter nicht besuchen?“
„Na, wegen diesem Scheiß Corona!“ Dieser Harry lebte vielleicht ein bisschen zu viel in seiner Naturwelt. „Wir dürfen doch gar nichts mehr. Gerade eben auf diesem blöden Fest haben sie wieder herumgelabert: ‚Wir holen das alles nach.‘ Ich will das nicht mehr hören.“ Mit ihrem Fuß schleuderte sie kleine Steinchen von den Bodenplatten auf den Weg vor der Bank.
„Was soll denn nachgeholt werden aus Ihrer Sicht?“
„Nichts. Das ist es ja. Letztes Jahr bin ich achtzehn geworden, aber ich durfte meinen Geburtstag nicht feiern.“
„Das war bestimmt traurig für Sie.“
„Ja, war es. Meine Eltern verstehen nicht, dass man einen achtzehnten Geburtstag nicht nachfeiern kann. Die können ihren fünfzigsten und sechzigsten Geburtstag nachholen, da spielt ein Jahr mehr oder weniger keine Rolle, aber achtzehn bin ich doch nur einmal.
„Da stimme ich Ihnen zu.“
„Noch nicht einmal eine Abifeier durften wir machen. Weißt du wie sich das anfühlt, wenn man sich auf einem Parkplatz bei strömendem Regen im Auto eine Rede anhören muss und nur sein Zeugnis überreicht bekommt? Wie soll man denn da nach zwölf Jahren Abschied feiern?“ Sie erinnerte sich, wie wütend und enttäuscht sie damals war. „Wir haben uns alle für den Abiball, den’s dann nicht gab, superschöne Kleider gekauft.“
Harry sah sie entsetzt an. „Mademoiselle, das ist ja eine Katastrophe! Sie durften sich nicht in einem hübschen Ballkleid amüsieren?“
„Keine Partys und keine Abifahrt, damit nicht noch mehr Menschen an Corona sterben.“
„Ich muss sagen, dass sich die Menschen in Bremen anständiger benehmen seit dieser Krankheit.“
„Anständiger?“
„Ja, zumindest die meisten Menschen setzen sich jetzt in gebührlichem Abstand auf meine Bank und die Männer und Frauen halten auch bei Spaziergängen mehr Abstand zueinander.“
„In welchem Jahrhundert lebst du denn? Und nur weil du hier oft sitzt, ist das noch lange nicht deine Bank.“
Harry machte ein beleidigtes Gesicht, aber sah sie nach kurzer Zeit schon wieder freundlich an. „Finden Sie diese Bank schön?“ Er sah auf die Lehne hinter sich.
Sie sah sich um. „Na ja. Es ist gut, dass die Sitzfläche aus Plastik ist. Das trocknet schnell.“
„Dass ich hier nicht auf Holz sitzen darf ist ein Skandal!“ Er machte ein missmutiges Gesicht.
„Mann! Wenn du auf Holz sitzen willst, dann setz dich doch auf die anderen Bänke hier daneben.“
„Nein, ich möchte auf meiner Bank sitzen.“
Dieser Mann war doch wirklich ein Dickkopf. Dachte er etwa, dass diese öffentliche Parkbank ihm gehörte?
„Und wie finden Sie die Lehne?“ Sein Blick schweifte wieder zu dem dunkelgrünen Metall hinter seinem Rücken.
Sie stand auf und betrachtete aus vier Schritten Entfernung das Muster zwischen den Metallstangen der Rückenlehne. „Am schönsten sind die beiden Herzen aus Metall an den Seiten und die Blumen daneben sind auch ganz hübsch.“
Harry seufzte. „Kennen Sie Heinrich Heine?“
„In Deutsch habe ich den Namen schon mal gehört, aber ich weiß nicht mehr wer das war. Warum? Bist du ein Fan von dem?“
„Durchaus, durchaus. Er war ein bekannter deutscher Dichter und Schriftsteller im 19. Jahrhundert.“
„Geschichte mochte ich in der Schule noch weniger als Deutsch.“
„Was ist nur aus der heutigen Jugend geworden! Welches Fach mochten Sie denn überhaupt in Ihrer Schulzeit?“
„Spanisch. Das kann ich und Jonas war auch in dem Kurs. Da haben wir uns kennengelernt.“
„Verstehe.“ Harry lächelte vergnügt. „Sind Sie schon verlobt?“
In manchen Dingen schien er so altmodisch zu sein wie ihre abuela. „Heutzutage verlobt man sich nicht mehr. Außerdem bin ich doch gerade von ihm weggelaufen.“
Harry sah sie prüfend an. „Darüber scheinen Sie nicht glücklich zu sein.“
Augenblicklich spürte sie Tränen in den Augen und kniff wieder ihren Mund zusammen. Nein, nicht wieder losheulen.
Harry sah sie mitfühlend an. „Und Ihr Verlobter Jonas konnte Sie nicht trösten in Ihrem Schmerz, als Ihre Großmutter starb?“
„Er hat das nicht verstanden, dass ich so traurig war und dann habe ich mit ihm Schluss gemacht, obwohl abuela noch zu mir gesagt hatte, dass Jonas ein guter Mann sei.“ Harry lächelte.
„Ich bin nach Hamburg zum Studieren gezogen und Jonas ist mir nachgezogen, nur um in meiner Nähe zu sein.“
„Oh, Hamburg ist eine schöne Stadt. Ich besuche dort öfter meinen Onkel.“
„Ich weiß nicht, ob Hamburg schön ist. Es hatte doch alles zu beim Lockdown.“ Er sah sie fragend an.
„Na, wegen der Pandemie war doch alles dicht. Ich konnte nicht zur Uni gehen, nicht in Bars und nicht in Clubs.“
„Sind Sie denn nicht spazieren gegangen?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ja, die Einsamkeit kann einen hart treffen.“ Es gefiel ihr, dass Harry sie voller Mitleid ansah.
„Jonas hat mich dann immer angerufen und war da. Immer wieder stand er vor meiner Tür und dann sind wir wieder zusammengekommen. Er hat sich ja auch bei mir entschuldigt.“
„Das ist wohl das Mindeste, was der Herr tun musste. Hat er Ihnen Gedichte geschrieben und häufig Blumen geschickt?“
Sie lachte. „Ne, damit hätte er sich doch nur lächerlich gemacht.“
„Finden Sie?“ Harry machte ein erstauntes Gesicht.
„Nein, eigentlich wäre es cool, aber man macht das eben nicht, also nicht in meinem Alter und bei uns in Huckelriede schon mal gar nicht.“
„Wo ist dieses Huckelriede?“ Er schien kein Bremer zu sein.
„Das liegt in der Neustadt und ist in der Nähe vom Werdersee. Jonas Eltern wohnen hier in Schwachhausen und die glauben echt, dass ich in einem sozialen Brennpunkt lebe.“
„Aus der Sicht eines Dichters mag das stimmen, wenn die Kuriere dort den Frauen nicht wohlklingende Gedichte und duftende Blumen überbringen.“
„Harry, du spinnst!“ Sie musste lachen. „Bei Jonas Eltern stehen viele Bücher und auch welche mit Gedichten. In Schwachhausen muss man das wohl im Regal stehen haben, aber deswegen sind die doch nicht besser als wir.“
„Stehen dort auch Gedichte von Heinrich Heine?“
„Vielleicht.“ Sie seufzte. „Auf jeden Fall bin ich von diesem Haus mit den vielen Büchern gerade weggerannt.“
„Ihr Verlobter wird sich Sorgen machen.“
Isabel ließ ihre Schultern fallen. „Äh!“
„Ich habe etwas für Sie“, rief Harry und stand auf. Er stellte sich auf die Wiese gegenüber der Bank und begann übertrieben zu reden.
„Herz, mein Herz, sei nicht beklommen und ertrage dein Geschick! Neuer Frühling gibt zurück, was der Winter dir genommen.“ Er sah sie fragend an.
„Schön Harry, aber von welchem Frühling redest du? Es ist Ende Mai und seit einem Monat regnet es.“
„Isabel, du wirst sehen, der Frühling kommt jetzt bald.“
Sie sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf seinen nun triefend nassen Anzug und ihr rotes Kleid, das an ihrem Körper klebte.
„Siehst du, es regnet nicht mehr.“ Er sah in die Sonne, die sich gerade durch die Wolken hervorkämpfte. Tatsächlich hatte der Regen aufgehört. Harry legte eine Hand auf seine Brust und fuchtelte mit der anderen herum.
„Und wie viel ist dir geblieben! Und wie schön ist noch die Welt! Und, mein Herz, was dir gefällt, alles, alles darfst du lieben!“ Er verneigte sich und sie klatschte in die Hände, weil sie annahm, dass er so eine Reaktion nun von ihr erwartete. Als er sich wieder auf die Bank setzte, sah er zufrieden aus.
„Du meinst also, dass die Welt schön ist?“ Ungläubig sah sie ihn an.
„Natürlich. Und ist Ihnen nicht viel geblieben?“
„Ja schon. Jonas und ich sind wieder ein Paar und wir sind zusammen zurück nach Bremen gezogen, weil ich das langweilige online-Studium aufgegeben habe. Und ein paar von unseren alten Freunden sind auch noch hiergeblieben.“ Ein kleiner Vogel setzte sich auf die Lehne und zwitscherte. „Meine abuela fehlt mir aber. Sie hat neben uns gewohnt und war immer da. Meine Eltern arbeiten Schicht und schlafen oft am Tag.“
„Sehen Sie nachts in den Sternenhimmel?“ Anscheinend hatte er ihr nicht zugehört. Sie schüttelte den Kopf.
„Ich möchte Ihnen dazu raten. Sehen Sie in den Sternenhimmel und dann werden Sie merken, dass Ihre Großmutter noch da ist, nur eben an einem anderen Ort. Und dann können Sie mit ihr sprechen.“
Harry war einfach merkwürdig. Glaubte er etwa an Geister? „Ok, ich werde es versuchen“, sagte sie, weil sie ihm nicht sagen wollte, dass sie ihn für verrückt hielt. Sie sah ihn von der Seite an. „Harry, glaubst du, dass ich das letzte Jahr nachholen kann?“
Er wiegte seinen Kopf hin und her, was merkwürdig aussah.
„Wie ich schon sagte, gibt uns der neue Frühling zurück, was die schlechte Zeit uns nahm. Wie wir es zurückbekommen, können wir nicht wissen, aber die Welt ist noch schön und es gibt immer genug, was wir lieben können. Diese Schönheit und Ihre Liebe sollten Sie auskosten, besonders in Ihrem Alter.“
Er stand auf und verbeugte sich vor ihr. Der Vogel flog weg. „Ich verabschiede mich von Ihnen. Es würde mich freuen, wenn Sie mich wieder mit einem Besuch beehren würden. Vielleicht möchten Sie mir auch einmal Ihren Verlobten vorstellen?“
Sie nickte und sah, wie Harry auf der Wiese zwischen zwei großen Bäumen stand. Er stellte sich neben den linken Baum. „Ich werde Ihre abuela von Ihnen grüßen.“
„Wie meinst du das?“
Harry winkte ihr zu und dann sah sie ihn nicht mehr.
Sie sprang auf. „Harry! Harry?“ Suchend blickte sie um sich, aber er war nirgends zu sehen oder zu hören. Sie blickte auf die hohe Rückenlehne und sah in der Mitte ein metallenes Bild, das ein Portrait von einem Mann zeigte. Das Bild war nicht genau zu erkennen, weil ein Vogel darauf sein Geschäft verrichtet hatte. Hastig bückte sie sich und riss Grasbüschel aus, um mit dem nassen Gras die weißen Streifen wegzuwischen.
„Was?“ flüsterte sie aufgeregt. Unter dem Metallbild stand: „Heinr. Heine“ und der Mann sah Harry verdammt ähnlich.
Ihr Handy klingelte und sie suchte ihr goldenes Täschchen, das im nassen Gras hinter der Bank lag. Es war Jonas.
***
Eine Woche später ging sie mit Jonas bei strahlendem Sonnenschein im Park spazieren. Hand in Hand ging sie mit ihm zu der Bank, bei der sie Harry getroffen hatte. Sie sah ihn schon von Weitem auf der Bank sitzen. Entsetzt stellte sie fest, dass Jonas sich auf Harrys Schoß setzte. Harry schien das nichts auszumachen, denn er stand einfach auf und stellte sich neben die Bank.
„Hallo“, sagte sie zu ihm.
„Aber Hallo!“, rief Jonas und zog sie lachend neben sich. Irgendwie war ihr das vor Harry unangenehm.
„Siehst du ihn?“, fragte sie Jonas verunsichert.
Harry schüttelte heftig seinen Kopf.
Jonas guckte auf die Lehne der Bank. „Meinst du das Bild von Harry Heine, der sich später Heinrich nannte? Meine Mutter ist in so einem Literaturverein und die sind mächtig stolz auf diese Heinrich-Heine-Bank hier.“ Sie spürte, dass ihr Mund offen stehen blieb.
Harry sah sie mitfühlend an. „Er sieht mich nicht. Machen Sie sich nichts daraus.“ Er drehte sich um und ging auf die Wiese.
„Ich kann jetzt mit meiner abuela sprechen. Wenn es Sterne gibt am Himmel und auch wenn es keine gibt“, sagte sie laut, damit er es hören konnte.
Harry lächelte ihr zu und Jonas sah sie verdutzt an.
„Ich werde dich wieder besuchen!“, rief sie Harry hinterher.
„Sehr gerne!“, rief er ihr zu. Er stand neben dem linken Baum, hob zum Gruß die Hand und verschwand.
„Warum schreist du denn so? Ich sitze doch neben dir“, beschwerte sich Jonas. „Und ja, das hoffe ich, dass du mich immer wieder besuchen wirst.“ Er küsste sie auf ihre Nase.